Vagrant Story

Entwickler:  Square
Vertrieb:  Square Europe/SVG
Genre:  Actionadventure
Spieler:  1
System:  Playstation

Story



"Metal Gear Solid" in einem mitelalterlichen Fantasy-Szenario voller Magie, Verschwörungen... und Drachen. So oder ähnlich muss die Zielsetzung der "Final Fantasy"-Macher von Square gelautet haben, als sie sich die Hintergrundgeschichte um Ashley Lionet, einen sogenannten "Riskbreaker", ausdachten. Dieser gefühlskalte Geheimagent untersucht eine Schlossbesetzung mit Geiselnahme, hinter welcher der scheinbar unsterbliche Sidney Losstarot steckt. An dessen Fähigkeiten sind jedoch auch der Klerus und verschiedene andere Fraktionen interessiert, und so geraten der jugendliche Held und seine zeitweilige Waffengefährtin Melrose schon bald zwischen alle Fronten. Der Kampf zwischen Gut und Böse findet seinen Höhepunkt in der Geisterstadt Le Monde, die seit je her verfluchten Seelen eine Zuflucht gewährt und somit einen würdigen Rahmen für den großen Showdown bildet.

Gameplay



"Ein Actionadventure? Aber es gibt doch Eigenschaftswerte, Aufstiege, Heiltränke und die verschiedensten Waffen? Was schreibt der Ziegler da wieder? Sicher meint er Rollenspiel!" wird sich der eine oder andere beim Überfliegen der Einleitungs-Tabelle gedacht haben. Tja, das ist alles richtig, doch ist das Aufgabenfeld des Spielers deutlich eingeschränkter, als dies normalerweise bei einem Rollenspiel der Fall wäre. Ashley Lionet hüpft, läuft, klettert und kämpft - das wars. Sämtliche Zwischensequenzen, die den Kampfalltag unterbrechen, laufen automatisch ab, und außer unzähligen Gegnern und wenigen Schatztruhen ist in den dreidimensionalen Lokationen nichts zu finden.

Das bedeutet allerdings nicht, dass die Aufgabe des Spielers lediglich aus permanenten Prügeleien sowie dem Lösen kleinerer Jump'n'Run-Aufgaben bestünde. Nein, wie es bei Square üblich ist, wurde auch für dieses Spiel ein ureigenes und hochkomplexes Kampf- und Ausrüstungssystem entwickelt. So bewegt man sich frei durch die rotierbaren Polygonräume, bis ein Gegner in Reichweite für die beabsichtigte Aktion ist. In diesem Moment erzeugt ein Tastendruck den aus "Parasite Eve" bekannten "Kampfdom", eine angedeutete Kugel, deren Radius von der jeweiligen Waffe bzw. dem jeweiligen Zauberspruch abhängt. Nun kann ohne Zeitdruck die gewünschte Trefferzone (humanoide Gegner verfügen über Kopf, Körper, Beine sowie den linken und rechten Arm) gewählt werden, welche mit der Waffe oder einem Spell traktiert wird.

Entscheidet man sich für den Waffenangriff, beginnt in diesem Moment das Combosystem: Nach einer bestimmten Anzahl an Siegen erlangt Ashley die Fähigkeit zu neuen Chain- oder Verteidigungsabilities, welche anschließend individuell auf drei Padbuttons gelegt werden. Drückt man diese zum exakten Zeitpunkt des vorherigen Angriffs (auf Wunsch blitzt in diesem Moment ein Ausrufezeichen auf), wird die Combo fortgesetzt. Jede dieser Attacken verursacht bestimmte Zusatzeffekte, welche optisch durch verschiedene Animationen dargestellt werden. Deren Timing zu erlernen ist somit essenziell für erfolgreiches Kombinieren, genau wie erfolgreiche Combos essenziell für ein langes Heldenleben sind. Die angesprochenen Zusatzeffekte sorgen nämlich nicht nur für einen erhöhten Angriffsschaden, sondern bringen unter anderem Lebens- und Magiepunkte zurück, lähmen den Gegner oder lassen ihn verstummen. Allerdings ist dabei zu bemerken, dass es nicht ratsam ist, Combos zu verlängern, wenn der erste Schlag geblockt wurde, da die meisten Schadenswerte prozentual von dieser Attacke abhängen.

Als ob dies alles noch nicht kompliziert genug wäre, steigt nämlich mit jedem Angriff die sogenannte "Risk"-Stufe an. Diese Zahl fällt im Ruhezustand zwar schnell wieder auf null, doch steht einem speziell im Duell mit Endgegnern diese Zeit eben nicht zur Verfügung, weshalb sich immer einige Aloewurzeln oder -knollen im Heldeninventar befinden sollten. Die Auswirkung des Risk-Wertes ist schnell beschrieben: Je höher die Ziffer (maximal 99), desto niedriger die Trefferwahrscheinlichkeit eines Angriffs, welche für jedes Körperteil einzeln errechnet wird.

Wer nun denkt, schwieriger könne es nicht mehr werden, unterschätzt die abstrusen Gedankengänge der Gamedesigner: Zum einen gibt es selbstverständlich die obligatorischen Angriffs-, Heil- und Hilfszauber (werden durch die Benutzung der gelegentlich zu findenden Bücher erlernt) sowie Spezialangriffe (abhängig von der Waffenklasse) und Inventory-Befehle. Darüber hinaus muss Ashley sich jedoch mit jeder gefundenen Klinge aufs Neue vertraut machen, um ihre Effektivität zu steigern. Klinge? Ganz recht: Jede Waffe kann auseinandergenommen und in Schmieden neu zusammengesetzt bzw. mit anderen Klingen kombiniert werden (funktioniert auch mit Rüstungsgegenständen und Schilden). Darüber hinaus bieten etliche Griffe und Schilde Platz für magische Edelsteine ("Final Fantasy VII" lässt grüßen), welche beispielsweise die Waffenstärke gegen bestimmte Gegnerklassen erhöhen. Höre ich da jemanden stöhnen?

Doch halt, es kommt noch dicker: Nicht genug damit, dass jede Klinge durch jeden einzelnen Schlag in ihren Auswirkungen beeinflusst wird, das alles geschieht gleichermaßen mit dem kompletten Rest der Ausrüstung! Muss man beispielsweise einen Treffer von Untoten hinnehmen, kann es sein, dass der linke Handschuh effektiver gegen diese Feindgattung wird und dafür einen Punkt gegen Drachen einbüßt. Gleiches gilt für die Elementaraffinitäten (Feuer, Wasser etc.), was letztlich zu folgender Schlussfolgerung führt: Um seine Ausrüstung wahrhaft effektiv zu nutzen, muss Ashley rein theoretisch für jede der sechs Gegnerarten einen vollständigen Satz an Waffen und Rüstungsteilen mit sich herumschleppen und vor jedem Kampf gegen Tiere, Menschen, Dämonen, Untoten, Geistern und Drachen komplett auswechseln. Natürlich ist dies völlig unmöglich, doch zumindest bei Waffen und Schilden sollte es tatsächlich so gehandhabt werden, um auch in späteren Spielabschnitten noch konkurrenzfähig zu bleiben.

Ich denke, nach dieser Ausführung kann jeder nachvollziehen, wie umständlich das Handling in "Vagrant Story" in Wahrheit ist. Schade, denn die sich (langsam) entfaltende Verschwörer-Story sowie die intelligenten Verschieberätsel wären für sich genommen sehr motivierend. Darüber hinaus lockt Le Monde nach einmaligem Durchspielen mit etlichen neuen Passagen und Entscheidungen, welche im ersten Versuch verschlossen bleiben.

Technik



Zuerst die schlechte Nachricht: Nach dem reichlich nichtssagenden, aber sehr schicken Introvideo gibt es im ganzen Spiel keine einzige Rendersequenz mehr zu sehen - schade, schließlich zählt Square zusammen mit Namco zur absoluten Elite auf diesem Gebiet. Jetzt die gute: "Vagrant Story" hat diesen Kunstgriff (fast) gar nicht nötig, um gut auszusehen! Die in Spielgrafik dargestellten Zwischensequenzen hinterlassen trotz der unvermeidlichen Schwächen bei Perspektivenkorrektur und Texturglättung einen hervorragenden Eindruck, welcher nicht zuletzt durch den geschickten Einsatz von Beleuchtungseffekten hervorgerufen wird. Auch die jederzeit aus der Ego-Ansicht zu bewundernden 3D-Szenarien wurden sehr liebevoll in Szene gesetzt, was dem Spieler aber wirklich den Atem raubt, das sind die Endgegner. Jedes dieser überdimensionalen Monster präsentiert sich vor dem Kampf in einer kurzen, aber nichtsdestotrotz äußerst beeindruckenden Sequenz. Da lässt es sich schon einmal verschmerzen, dass einige der Standardanimationen des Helden weniger elegant ausfallen als gewohnt. Nein, rein optisch braucht "Vagrant Story" keinen Vergleich zu scheuen.

Auch beim Sound aus passenden Effekten und abwechslungsreichen, allerdings etwas zurückhaltenden Musikstücken ließen die Square-Designer nichts anbrennen, doch vermisst man gerade aufgrund der gelungenen Kino-Atmosphäre schmerzlich jeglichen gesprochenen Dialog. Stattdessen werden sämtliche Konversationen in Sprechblasenform abgehalten, was zumindest anfangs stark gewöhnungsbedürftig ist. Nun ja, wenigstens ist die deutsche Übersetzung recht gut gelungen, von einigen (scheinbar unvermeidlichen) Rechtschreib- und Grammatikfehlern einmal abgesehen. Auch die Germanisierung einiger englischer Wörter ("Equipieren" für "Ausrüsten", "Faktorei" für "Werkstatt") mutet zu Beginn reichlich seltsam an, soll dem Ganzen jedoch anscheinend einen mittelalterlichen Touch verleihen. Seis drum, Playstation-Spieler haben schon Schlimmeres gesehen...

Ergebnis



Sehr langer Rede sehr kurzer Sinn: "Vagrant Story" ist ein spannendes, packend in Szene gesetztes Abenteuer, das aufgrund seines überkomplexen (besser: überkomplizierten) Kampf- und Ausrüstungssystems aber leider nicht vorbehaltlos empfohlen werden kann. Wer jedoch bereit ist, in einem Raum bis zu zweimal die gezogene Waffe zu wechseln, und auch nicht vor zum Teil ziemlich frustrierenden Bosskämpfen zurückschreckt, wird auch in diesem Square-Titel exzellent unterhalten! (Markus Ziegler)

Wertung